Datum: Montag, 05. Juni 2023 Zeit: 19:00 – 21:00 Ort: Aula am Campus, Eingang 1.11, Altes AKH, Campus, Spitalgasse 2, 1090 Wien
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Vortrag Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Universität Wien: “Alle Welt redet von Taiwan: Taiwan als Spielball der Großmächte? Geopolitische Betrachtungen zur Geschichte und aktuellen Lage Taiwans” :
Taiwans Position in Ostasien hat sich in der Geschichte mehrfach geändert, die Bevölkerung der Insel hatte dabei wenig Einfluß auf die Entwicklung gehabt. Meistens haben die Machtverhältnisse in der Region ihr Schicksal bestimmt. Wie ist die Machtkonstellation in Ostasien heute, und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für Taiwan und die Welt?
Der Vortrag wird begleitet durch einen Kurzvortrag von Prof. Milos Vec, Juridicum,Universität Wien.
Nach dem Vortrag wird ein Mittagessen angeboten!
Einleitung
2016 fand in Taiwan die Präsidenten- und Parlamentswahl statt. Die Partei “Democratic Progressive Party“(DPP) gewann zum ersten Mal sowohl das Präsidentenamt als auch die Mehrheit im Legislativ-Yuan (Parlament) und bekam die Regierungspartei. 2017 erließ der Legislativ-Yuan das Gesetz zur Förderung der Vergangenheitsbewältigung (VergBewältG) und errichtete dafür das unter dem Administrativ-Yuan als unabhängige Behörde eingegliederte Komitee zur Förderung der Vergangenheitsbewältigung (Komitee zur VergBewält). Einer ihrer Aufgaben ist die Beseitigung des juristischen Unrechts unter dem autoritären Regime. Nach § 6 Abs. 1 VergBewältG sind strafrechtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen freiheitliche und demokratische Verfassungsordnung und gegen das Prinzip des fairen gerichtlichen Verfahrens ergangen sind, ungeachtet des § 9 Staatssicherheitsgesetz erneut zu ermitteln.
Angesichts der Umstände, dass seit der Herrschaft des autoritären Regimes bis heute es schon über Jahrzehnte her ist und neue gerichtliche Prozesse lang dauern können, kam das deutsche Beispiel des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) bei der parlamentarischen Beratung in Betracht. Durch § 6 Abs. 3 Nr. 1 VergBewältG werden verurteilende strafrechtliche Entscheidungen, deren Opfers oder Verurteilten nach dem Gesetz zur Disposition und Entschädigung des Massakers am 28. Februar 1947, dem Gesetz zur Kompensation der der unrechten strafrechtlich Verurteilten wegen Volksverhetzung oder geheimdienstlicher Argententätigkeit während des Kriegsrechts und dem Gesetz zur Wiedergutmachung des entzogenen Rechtes während des Kriegsrechts entschädigt, ausgeglichen oder wieder hergestellt wurden, am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes aufgehoben.
Die Entscheidungen, für die der oben genannte Artikel nicht anwendbar ist, können gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 VergBewältG nach dem Antrag von Opfern oder Betroffenen oder von Amts wegen vom Komitee zur VergBewält erneut ermittelt und aufgehoben werden. Aus welchem Grund neben der gesetzlichen Aufhebung der unrechten Entscheidungen noch Einzelfallentscheidung erforderlich ist und welche Sachverhalte unter den Begriffen von „Verstoß gegen freiheitliche und demokratische Verfassungsordnung“ und „Verletzung des Prinzips vom fairen gerichtlichen Verfahren“ subsumiert werden können, werden in diesem Beitrag mit Beispielen erläutert.
Die zarteste Versuchung, seit es Verfassungen gibt: Wie schützt man eine freiheitliche Ordnung, ohne autoritär zu werden?
Das Recht bietet viele Möglichkeiten, staatliche Ordnungen vor Veränderungen oder Umsturz zu schützen. Es steht dabei immer in Gefahr, unter dem Deckmantel des Schutzes andere Zwecke zu verfolgen. Auch freiheitlich-demokratische Verhältnisse sind nie davor gefeit, den Schutz der Verfassung so auszugestalten, dass sie paradoxe Effekte zeitigen. Dann ist das freiheitliche Element erstickt und Demokratie womöglich nur noch eine Fassade. Entsprechend haben sich Staatsrechtslehre und Politikwissenschaft zuletzt auch intensiv der vergleichenden Analyse gewidmet, wie sich Demokratien auf demokratische Weise abschaffen und Rechtsstaaten sich rechtsstaatlich zu etwas Autoritärem transformieren. Der Blick in die europäische und globale Rechtsgeschichte zeigt, dass Post-Konfliktgesellschaften ganz verschiedene Wege beim Schutz ihrer Verfassung gehen und dabei unterschiedliche Lehren aus ihrer Vergangenheit ziehen, wenn es um die Aufrechterhaltung einer bestimmten Ordnung geht. Mobilisiert werden Mittel wie der Erlass neuer Straftatbestände (Wiederbetätigung; Holocaustleugnung), Gerichtsverfahren wegen begangener Taten, Gründung neuer und Mobilisierung bestehender staatlicher Institutionen, teilweise unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Diese Bemühungen können sowohl als Verrechtlichung der Politik als auch Politisierung des Rechts lesen. Kein Wunder, dass die Evaluation dieser Mittel und ihres Erfolgs oft politisch hoch umstritten ist.
Sun Nai-Yi : Gesetzestexte zur Transitional Justice in Taiwan
Das Gesetz über Staatssicherheit während der Periode der nationalen Mobilisation zur Unterdrückung der kommunistischen Rebellen 動員戡亂時期國家安全法 Das Staatssicherheitsgesetz 國家安全法 (Änderung des Namens des Gesetzes 1992) https://law.moj.gov.tw/LawClass/LawAll.aspx?pcode=A0030028
Das Gesetz zur Kompensation der der unrechten strafrechtlich Verurteilten wegen Volksverhetzung odergeheimdienstlicher Argententätigkeit während des Kriegsrechts 戒嚴時期不當叛亂暨匪諜審判案件補償條例 https://law.moj.gov.tw/LawClass/LawAll.aspx?pcode=F0120018
1987 endete in Taiwan der 37 Jahre währende Kriegszustand gegen die kommunistische Partei der Volksrepublik China. Mit der zum ersten Mal in Taiwan allgemein stattfindenden Parlamentswahl 1991 begann die Demokratisierung. Kurz vor der Aufhebung des Kriegszustandes erließ der damalige Legislativ-Yuan, dessen Mitglieder 1948 auf dem chinesischen Festland gewählt und seither nicht wieder gewählt wurden, das Gesetz über Staatssicherheit während der Periode der nationalen Mobilisation zur Unterdrückung der kommunistischen Rebellen. Nach § 9 des Staatssicherheitsgesetzes blieb trotz der Beendigung des Kriegsrechts der ordentliche Rechtsweg den Zivilisten, die während des Kriegsrechts von Militärgerichten verurteilt wurden, verschlossen. Diese Regelung wurde auch von Verfassungsrichtern als verfassungsmäßig erklärt. Dies bildet einen der rechtlichen Gründe für das Scheitern der Vergangenheitsbewältigung nach der Demokratisierung in Taiwan. In diesem Zusammenhang erließ der Legislativ-Yuan von 1995 bis 2000 hintereinander 3 Gesetze, nämlich das Gesetz zur Disposition und Entschädigung des Massakers am 28. Februar 1947, das Gesetz zur Kompensation der unrecht strafrechtlichen Verurteilten wegen Volksverhetzung oder gemeindienstlicher Argententätigkeit während des Kriegsrechts und das Gesetz zur Wiedergutmachung der beschädigten Rechte während des Kriegsrechts, um die Opfer zu kompensieren und deren entzogenen Rechte wieder herzustellen. Allerdings vermied die damalige Regierung, die Täter im autoritären Regime zu identifizeren und ihnen die entsprechende Schuld zu zuschreiben. Die autoritären Merkmale existieren weiter in der demokratisierten Gesellschaft.
2016 fand in Taiwan die Präsidenten- und Parlamentswahl statt. Die Partei “Democratic Progressive Party“(DPP) gewann zum ersten Mal sowohl das Präsidentenamt als auch die Mehrheit im Legislativ-Yuan (Parlament) und wurde die Regierungspartei, die sich für das Wiederaufnehmen der Vergangenheitsbewältigung als Schwerpunkt ihrer Politik verpflichtete. Der Legislativ-Yuan erließ dann das Gesetz zur Erstattung der von Parteien und ihren angeschlossenen Organisationen unrecht erworbenen Vermögen, das Gesetz zur Förderung der Vergangenheitsbewältigung und das Gesetz über den Zugang zu politischen Akten. Unterdessen ist das Komitee zur Vergangenheitsbewältigung allgemein für die Ermöglichung des Zugangs zu politischen Akten, die Beseitigung der autoritären Merkmale und die Beibehaltung der unrechten Stätte, die Beseitigung des juristischen Unrechts und die Nutzung der erstatteten unrechten Vermögen zuständig. Allerdings ist das Komitee aufgrund des Gesetzes 2022 ausgelöst. Die Politik der Vergangenheitsbewältigung stagniert wieder. Welche Erfolge seit 2016 errungen worden sind und mit welchen Herausforderungen die Vergangenheitsbewältigung in Taiwan konfrontiert, werden in diesem Beitrag erklärt.
Sun Nai-Yi : Gesetzestexte zur Transitional Justice in Taiwan
Das Gesetz über Staatssicherheit während der Periode der nationalen Mobilisation zur Unterdrückung der kommunistischen Rebellen 動員戡亂時期國家安全法 Das Staatssicherheitsgesetz 國家安全法 (Änderung des Namens des Gesetzes 1992) https://law.moj.gov.tw/LawClass/LawAll.aspx?pcode=A0030028
Das Gesetz zur Kompensation der der unrechten strafrechtlich Verurteilten wegen Volksverhetzung odergeheimdienstlicher Argententätigkeit während des Kriegsrechts 戒嚴時期不當叛亂暨匪諜審判案件補償條例 https://law.moj.gov.tw/LawClass/LawAll.aspx?pcode=F0120018
Vorstellung des neuen Buches von Thilo Diefenbach.
Mit diesem Buch legt Thilo Diefenbach ein Panoptikum der taiwanischen Literaturen vor – das erste überhaupt in einer westlichen Sprache. Die Anthologie setzt mit Beispielen aus der mündlichen Überlieferung ein, d.h. mit Legenden, Märchen und Sagen der Ureinwohner, aber auch jenen der Einwanderer aus China, die ab dem 17. Jahrhundert vermehrt nach Taiwan kamen. Darauf folgt die frühe schriftlich festgehaltene Literatur: Eine Dichtung, die sich formal durchweg an den klassischen Mustern der chinesischen Tradition orientierte, aber inhaltlich zunehmend eigene Züge aufwies, etwa in der Beschreibung der Landschaften und der Ureinwohner Taiwans. Weitere Texte belegen, wie Anfang des 20. Jahrhunderts die literarische Moderne Einzug in Taiwan hielt, wobei nicht nur China, sondern auch Japan und christliche Missionare eine Rolle als Vermittler spielten. In diesem Zeitraum machte sich die Mehrsprachigkeit Taiwans auch im Schriftbild bemerkbar: sinitische Schriftzeichen, japanische Silbenalphabete und lateinische Buchstaben wurden parallel verwendet. Politische Zwangsmaßnahmen unter der japanischen Herrschaft (1895–1945) ebenso wie unter dem Kriegsrecht, das die Regierung der Republik China bis 1987 über Taiwan verhängte, verhinderten lange Zeit eine freie Entwicklung der Literatur und auch der in Taiwan gebräuchlichen Sprachen. Dass dennoch interessante Werke erscheinen konnten, will dieser Band mit weiteren Textbeispielen belegen. Erst seit dem Beginn der Demokratisierung in den späten 1980er Jahren können sich Literatur und Sprachen wieder frei entfalten.
Die über hundert Beiträge in diesem Buch sind aus vier Sprachen übersetzt (Mandarin, klassisches Sinitisch, Japanisch, Taiwanesisch) und durchweg ausgiebig kommentiert. Es gewährt somit einen tiefen Einblick in die sprachliche, formale und inhaltliche Vielfalt der taiwanischen Literaturen.
Ein Panoptikum der Literaturgeschichte Taiwans – zum ersten Mal überhaupt in einer westlichen Sprache: Angefangen von den mündlichen Überlieferungen über die frühe Dichtung in klassischen Formen und die Anfänge der modernen Literaturen bis hin zu Erzählungen aus jüngster Zeit; übersetzt aus vier Sprachen und ausgiebig kommentiert.
Thilo Diefenbach studierte Germanistik und Sinologie in Frankfurt, Promotion 2004 an der Universität zu Köln. Zahlreiche Aufenthalte in Taiwan, Japan und China. Seit Jahren Mitarbeiter der “Hefte für ostasiatische Literatur” und der Hamburger Zeitschrift “Asien”. Bislang drei Bücher zu Taiwan – neben den beiden Anthologien noch der Band “Gedanken in Weiß. Gedichte aus Taiwan” (2019), in dem der Dichter Cheng Chiung-ming vorgestellt wird.
Auf den Vortrag folgt ein Q&A mit Shieh Jhy-Wey, Repräsentant Taiwans in Deutschland. Im Anschluss laden wir zu einem Buffet ein.
Roundtable about controversies and struggles about Taiwan’s “Comfort Women” and the continued use of sexual violence in warfare today.
Introduction to the background of the project: Chris Berry, King’s College London
Extract of film Song of the Reed 蘆葦之歌 (2015)
Expert panel
Chair: Chris Berry, King’s College London
This roundtable is motivated by both recent controversies and struggles about remembering – and forgetting – Taiwan’s so-called “comfort women” and the continued use of sexual violence in warfare today. Urgent questions include:
* How can we remember without re-traumatizing victims, but instead empower them?
* How has does our knowledge about past sexual violence shape our understanding of what is happening today?
* As survivors become fewer with the passing of time, how can we continue to raise public awareness?
* What are legal, political and cultural specificities of dealing with the legacy of military sexual violence in different places?
Expert speakers:
– Dr. Marta Havryshko, Associate Researcher at the Ukrainian National Academy of Sciences
– Feride Rushiti, The Kosovo Rehabilitation Centre for Torture Victims (KRCT)
– Emilie Hu, Fenton Communications, graduate of Scripps College
Taiwan, or the Republic of China (R.O.C.), is one of Asia’s most essential and powerful democracies. Taiwan’s democracy and the country’s successful transition from an authoritarian one-man regime to a democracy are shown by many as examples. However, some of the problems that continue to this day from the one-man rule in Taiwan are black spots in the strong Taiwanese democracy. One of the most significant obstacles is organized crime groups and their relations with politics. These organized crime groups operate in various areas, such as politics and the economy in Taiwan. They have become one of the sides in the pro-independence and pro-unification issue that explains Taiwan’s political life in recent years. These criminal organizations are being manipulated and used by the People’s Republic of China (PRC) for pro-unification purposes today. In this introductory talk, the relationship of organized crime groups with politics in Taiwan and the relationship of these organizations with the People’s Republic of China will be explained with the example of the Bamboo Union. In addition to this relationship, to understand the main reason behind the relationship between PRC-organized crime groups and Taiwan’s politics, the distinction between identity or pro-unification and pro-independence that creates Taiwan’s politics will also be explained.
Ahmet Yiğitalp Tulga is a Dr. of Political Science at Ankara University. He earned his M.A. at Ankara University, Turkey, and his Ph.D. at National Sun Yat-sen University, Taiwan. He has written and published several articles and book chapters in Turkish and English. His research focuses on social media-terrorism relations, Islamic movements in the Middle East and North Africa, politics, and organized crime in Taiwan.
Hiermit dürfen wir Sie herzlich zu dem Vortrag einladen, der vom Vienna Center for Taiwan Studies und dem Taipei Economic and Cultural Office in Vienna organisiert wird.
Die Moderation und Diskussion wird von Frau Univ.-Prof. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik geführt.